Gedanken zur AG „Wald und Natur“ im 15. Jahr ihres Bestehens
Wir Eltern, Lehrer und Erzieher können „unsere“ Kinder nur eine begrenzte Zeit begleiten. Früher oder später nehmen sie ihr Leben selbst in die Hand. Was können und sollten wir ihnen bis dahin mitgeben? Wie können wir ein wenig dazu beitragen, sie für das Leben fit zu machen? Was bedeutet dabei Lehren und Erziehen?
Unsere Welt wächst zusammen, soweit so gut. Zunehmender Globalisierung auf der einen Seite steht der Wunsch nach individueller Entfaltung entgegen. Soziale Netzwerke, wie Twitter oder Facebook, wirken meinungsbildend, schaffen oft „verbale Mitläufer“. Das Internet ermöglicht uns einen nie dagewesenen und schnellen Zugriff auf Informationen. Es besteht jedoch die Gefahr das eigene Nachdenken zu vergessen, das Bewerten dieser so schnell verfügbaren Informationen nach wirklicher Brauchbarkeit und vor allem nach unserem ethischen Wertemaßstab. Mit heute 48 erlebten Jahren musste ich, wie alle Eltern, Lehrer und Erzieher meiner Generation, noch eine erhebliche Zeitlang ohne all diese „Bequemlichkeiten“ auskommen. Heute nutze ich sie natürlich als wertvolle Hilfsmittel, die für mich sicher nie zum Selbstzweck mutieren. Welche Möglichkeiten haben aber unsere Kinder heute Wissen und Werte zu erfahren, sich kritisch mit Meinungen und Medien auseinanderzusetzten, nachzudenken, das Lernen zu lernen? Wir alle sind gefordert – Eltern und Schulen.
Die AG „Wald und Natur“ leistet einen wertvollen Beitrag zu dieser Herausforderung. Der Wald ist ein vernetztes Ökosystem. Wo kann also besser und anschaulicher das Denken in Vernetzung und Zusammenhängen gelehrt, erfahren werden. Wo kann besser aufgezeigt werden, dass es die ganz einfachen „gut – schlecht“, „richtig – falsch“ oder „schwarz – weiß“ Kategorien gar nicht gibt? Die Ameise ist nicht einfach „nützlich“ sondern ein wertvoller Bestandteil des Gesamtsystems, teils als Beute, teils als Konsument. Sie ist nicht wertvoll weil wir Menschen das so bestimmen wollen, sondern weil sie eine wichtige Position im Ökosystem Wald einnimmt. Der Wald ist auch Erholungsraum und Lieferant des wertvollen, ökologisch unersetzbaren, Rohstoffes Holz. Wir Menschen sind also Bestandteil des Systems. Bäume wachsen nicht unendlich in die Höhe. Es gibt klare Grenzen, die durch die Schwerkraft und die Verfügbarkeit an Wasser, Nährstoffen und Licht gesetzt sind. Lehrt uns der Wald nicht auch, dass es das grenzenlose Wachstum, welches uns oft von unseren Politikern versprochen wird, gar nicht geben kann? Heute ein „Mehr“ auf der einen Seite bedeutet letztlich ein „Weniger“ auf der anderen Seite oder auf Kosten zukünftiger Generationen. Waldbau erfordert langfristiges Denken. Heutige Entscheidungen von Förstern zeigen oft erst in vielen Jahren ihre Wirkung. Langfristiges, vorausschauendes Denken ist nötig – wirklich nur im Wald? Auf jeden Fall bietet der Wald genügend Stoff zum Nachdenken. Zukünftigen Politikern würden ein paar Jahre Wald – AG sicher gut tun.
Das freie Spielen in der Natur fördert Kreativität und Denken. Die Kinder bauen Unterkünfte im Wald aus Ästen, Zweigen, Blättern und Moos oder basteln mit Naturmaterialien.
Sinne werden spielerisch gefördert. Riechen, Schmecken, Sehen, Hören und Fühlen erzeugen Aufmerksamkeit und eben echte Besinnung. In seinem Buch „Das letzte Kind im Wald“ schreibt Richard Louv: „Die Wälder waren mein Ritalin“. Vielleich steckt in diesem kleinen Zitat eine ganze Menge Wahrheit.
Laufen und Rennen über „Stock und Stein“, Springen über Wassergräben, das Klettern über ein Seil stärken die motorische Bewegungsfähigkeit und das Selbstwertgefühl. Manche Kinder, denen das Lernen im Klassenzimmer etwas schwerer fällt, bekommen im Wald ihre Chance, werden deutlicher wahrgenommen und bekommen dadurch „Motivationsschübe“.
In erlebnispädagogischen Aktivitäten wird die Teamfähigkeit gefördert und soziale Kompetenz gestärkt.
Untersuchungen im Wasser oder im Waldboden wecken den kindlichen Forschergeist und schulen die Beobachtungsgabe.
Beim Bau von Nistkästen erfahren die Kinder nicht nur Wissen über unsere Singvögel sondern stärken ihre handwerklichen Fähigkeiten und erlernen den Umgang mit verschiedenen Werkzeugen.
Die Kinder können die jahreszeitlichen Veränderungen im Lebensraum Wald ebenso wahrnehmen wie die unterschiedlichen Tätigkeiten der Förster und Waldarbeiter im Jahresverlauf. Sie lernen den Wald ganzheitlich in all seinen Facetten kennen. Wann kommen die Kröten in den Teich? Wann sind die Kaulquappen entwickelt? Warum sonnen sich die Emsen? Warum fallen die Blätter vom Baum? Wann und warum werden Tiere bejagd? Sollte man Bäume fällen? Wofür wird Holz verwendet? Wie werden Wälder gepflegt? Kann man im Wald richtig Spaß haben?
Vielleicht kann die AG „Wald und Natur“ Antworten geben, vielleicht einen zusätzlichen, wertvollen Beitrag für die kindliche Entwicklung und das Wertebewusstsein leisten. Vielleicht ist das „Draußen sein“ viel bedeutender für unsere Kinder, als es für manche auf den ersten Blick scheint.
Kinder, die nie aufhören nach dem „warum“ zu fragen, werden sich auch als Erwachsene nicht von schnellen Pauschalurteilen und Populismus beeinflussen lassen. Noch einmal Richard Louv: „Kinder in der Natur sind heutzutage eine fast aussterbende Spezies. Die Folgen sind Fluchten in virtuelle Welten, Hyperaktivität, Gewalt, Sucht sowie eine wachsende Gleichgültigkeit gegenüber Natur und Umwelt“
Ich glaube fest daran, dass die bisher 250 Kinder der AG „Wald und Natur“ im Wald eine Menge erfahren haben, möglicherweise ohne dies bewusst wahrzunehmen und darum mit umso mehr Spaß und Freude. Kein Kind vermisst in der „Draußenzeit“ seinen Computer, den Fernseher oder sein Handy – Allein das ist schon ein gewaltiger Erfolg.
Vielen Dank an das Team der GS Uhlstädt für die intensive Zusammenarbeit der letzten Jahre. Ich denke, wir sollten einfach weitermachen.
Maik Meißner, Uhlstädt im März 2018